
Deutsche Einheit 2025 nach Parteipräferenzen
3. Oktober 1990. Friedrich Merz wählt in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit 2025 das Bild einer Neuen Einheit als programmatischen Kern seiner Botschaft – adressiert an ein Land, das 35 Jahre nach der Wiedervereinigung gesellschaftlich und wirtschaftlich unter enormem Druck steht, und vor allem von Vertrauensverlust gegenüber seiner Regierung geprägt ist. Die internationale Aufmerksamkeit für seine Ansprache rührt nicht zuletzt daher, dass Merz längst aus der Perspektive eines Kanzlers mit schwindendem Rückhalt spricht.
Mit dem Begriff von der Neuen Einheit skizziert Merz einen gesellschaftlichen Neustart, der weniger von feierlicher Rückschau als von der Aufforderung zum Aufbruch geprägt ist. Er knüpft rhetorisch an die berühmte Ruck-Rede von Roman Herzog (1997) an, fordert einen – wie auch immer gaarteten – gemeinsamen Kraftakt und konstatiert, dass sich Deutschland neu sammeln müsse. Zentral ist hier der Appell, Spaltungen zu überwinden – nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen, Zukunftssorgen und Identitätsdebatten. Merz spricht von Mut zu Veränderung, positiver Energie angesichts globaler Umbrüche und der Bereitschaft, gemeinsam für die liberale Demokratie einzustehen.
Damit versucht er, einen Begriff für eine nationale Kohäsion zu finden, die auf gesellschaftlicher Teilhabe, Reformbereitschaft und einem modernen Staatsbewusstsein fußt – ein Gegenentwurf sowohl zu rückwärtsgewandtem Pessimismus als auch zu identitätspolitischer Fragmentierung.
Angesichts rekordverdächtig niedriger Zustimmungswerte und eines Vertrauensverlustes in seine Reformpolitik versucht Merz, verloren gegangenes Vertrauen durch eine Mischung aus selbstkritischem Realismus und dem Versprechen pragmatischer Erneuerung zurückzugewinnen. Seine Strategie ist doppelt kodiert: Einerseits hebt er die Erfolge seiner Regierung hervor, wie den Rückgang der Asylbewerberzahlen, und verspricht die Fortsetzung wirtschaftlicher und sozialstaatlicher Reformen. Andererseits betont er die Notwendigkeit, Fehler der Vergangenheit zu benennen, Defizite wie das Gefühl ostdeutscher Bürger, zurückgesetzt zu sein, offen anzusprechen und daraus konkrete politische Impulse zu ziehen.
Der Appell an die freiwillige Mitwirkung in Wehrdienst und Gesellschaft kann als Versuch gelesen werden, ein neues Verantwortungsgefühl und damit Staatstreue zu stiften. Sein Herbst der Reformen soll ein Zeichen für mutigen Gestaltungswillen setzen – auch wenn aus Sicht vieler Wähler der politische Durchbruch bislang ausbleibt.
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Die Rede ist ein Ausdruck von Führung, die zwischen Defensive und Hoffnung laviert: Sie vermeidet die Festlegung auf konkrete politische Maßnahmen und setzt auf das Gefühl gemeinsamer Bewährungsprobe. Merz will integrative Führung präsentieren, ist aber gezwungen, angesichts schwächelnder Wirtschaft, wachsender gesellschaftlicher Unsicherheit und internationaler Krisen ein positives, kollektives Narrativ zu finden. Die Neuen Einheit wird so zum Sehnsuchtsbegriff und zur politischen Projektionsfläche – ob sie das Vertrauen tatsächlich zurückgewinnen kann, bleibt vorerst offen, denn den Worten müssten Taten folgen.

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