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PAGE auf der TypoBerlin 2002

Infotainment Wussten Sie, dass alle 2,7 Sekunden irgendwo auf der Welt eine Tupperparty mit garantiertem Kaufzwang stattfindet? Oder dass in dem Teil unseres Gehirns, der als Primatenhirn bezeichnet wird, Dinge wohnen wie Vorurteile, Rassismus und PIN-Nummern? Mit Weisheiten dieser Art würzte Ralf Grauel seinen Vortrag "Die Kunst der Manipulation". Interessant, unterhaltsam und manchmal nahezu ein wenig gruselig führte der Journalist vor, wie man Menschen ganz gezielt beeinflussen kann – durch Ausschnitte aus dem Film "Nikita", Verhörrichtlinien des Geheimdienstes CIA und aktuelle Werbespots untermauert.

Ein weiteres Highlight unter den erfreulich vielen guten Vorträgen war der Auftritt von Stefan Sagmeister. Ein Jahr Auszeit und die Terroranschläge vom 11. September zeigten einen sehr nachdenklichen Sagmeister, der sich Gedanken über die menschlichen Werte machte und den ganzen Designerberuf infrage stellte – den Menschen Dinge anzudrehen, die sie nicht wollen, damit sie Leute beeindrucken können, die sich nicht dafür interessieren, sei doch total deppert. Er verschonte dabei auch eigene Arbeiten nicht, was manchmal stark an Koketterie grenzte. Das jedoch sehen wir ihm aufgrund seiner natürlichen, humorvollen und sympathischen Art gerne nach.

Gewohnt gut waren die alten Hasen Mario Garcia, der das Redesign des ehrwürdigen "Wall Street Journal" präsentierte und Gert Dumbar. Dieser – laut Erik Spiekermann älteste Regelbrecher, den er kenne – verteilte zunächst mit dem Kommentar, Pfeile würden ausschließlich auf Schilder gehören, die aus großen dreidimensionalen Pfeilen bestehende Dekoration im Publikum und stellte danach eigene Projekte vor. Darunter leider viele alte und nur wenig neue Arbeiten.

Rund 1300 Teilnehmer, davon etwa 25 Prozent Studenten, waren nach Berlin gekommen und erlebten ein äußerst reichhaltiges Programm, in dem sich der Frauenanteil im Vergleich zu den Vorjahren erheblich gesteigert hatte. Enttäuschend war das abschließende Dramolett von Anne Philippi, Ralf Grauel und David Baum. Nach ihrem Prada-Gucci-Erfolg im letzten Jahr waren die Erwartungen hoch, noch geschürt von den Organisatoren. Das Rollenspiel zur Medienhysterie blieb jedoch sehr blass, und auch die echte Klatschkolumnistin Ariane Sommer und der Schauspieler Giulio Ricciarelli konnten dem keine Farbe verleihen.

Ganz anders als die beiden Professoren Harro von Senger und Michael Schreckenberg. Ersterer sprach fundiert und humorvoll über listiges Informationsdesign in Europa und China. Dass die Chinesen sehr viel gewitzter sind als wir Europäer und auch stolz auf diese Eigenschaft, wussten wir vielleicht schon. Nicht aber, dass es bei ihnen eine Listen-Liste mit 36 Strategemen gibt, wie zum Beispiel "Aufs Dach locken und dann die Leiter wegziehen". Besonders beliebt in Europa – und da vor allem in Werbung, Design und Medien – ist das der schönen Frau, auch Sex-Strategem genannt, und jeden Morgen wieder in der Boulevardpresse zu bewundern.

Michael Schreckenberg ließ sich über Online-Verkehrsprognosen, das Phänomen Stau und Menschen in Panik aus. Der Forscher, der wie eine permanente Rushhour redete , hatte nicht nur unheimlich viel Ahnung, sondern konnte sein Wissen auch sehr lebendig rüberbringen. Dabei war er zudem noch richtig komisch, weil er genau das nicht sein wollte. Vielleicht sehen wir ihn ja auf der nächsten Typo vom 15. bis zum 17. Mai 2003 wieder, dann heißt das Thema Humor.

Weiterführende Informationen
www.typo-berlin.de

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