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PAGE Report von der ATypI 2002

Same Procedure Weit mehr als römische Inschriften hatte die ATypI 2002 zu bieten. Sogar so viel mehr, dass manch einer unter den rund 470 Teilnehmern bei der Frage, für welchen der vielen Vorträge er sich entscheiden sollte, ganz schön ins Schleudern kam. Aber die Veranstalter hatten diese Vielfalt gewollt und fuhren viergleisig. Im großen Saal tagte das International Issues Forum zu diversen Themen, in den kleineren Räumen gab es den ThinkTank zu technischen Fragen, zudem konnte man an einer Veranstaltungsreihe zu historischen Aspekten und am italienischen Designforum teilnehmen.

Zu den diesjährigen Highlights gehörte der Vortrag von Linda Skårsgard aus Michigan, ihres Zeichens leitende Produktdesignerin und Lettering-Spezialistin bei General Motors, die das Publikum mit einer guten Portion Humor und Gefühl an ihrer Begeisterung für Kalligrafie teilhaben ließ. Vier Type-designer – Jerry Campbell aus Detroit, Rick Cusick aus Kansas City, Michael Clark aus Virginia und Margo Chase aus Los Angeles – hatte sie besucht, dabei Videos gedreht und Interviews geführt, die die Bedeutung der Handarbeit in der Schriftgestaltung zeigen.

Spannend war auch die Präsentation von Tim Girvin aus Seattle. Sein in den siebziger Jahren gegründetes Büro Girvin Strategic Branding & Design konzentrierte sich zunächst auf Typedesign, Kalligrafie und Illustration. Inzwischen gehört es zu den größten Designfirmen in den USA und verfügt zudem über Niederlassungen in Europa und Japan. Neben komplex angelegten Corporate-Design-Projekten – wie zum Beispiel für die neue US-Fernsehserie "48 Hours" – zeigte er zahlreiche in seiner Agentur entstandene Filmtitel sowie die im Auftrag der Richard Gere Foundation entwickelte Website www.gerefoundation.org.

Die beliebteste Schrift – und gleichzeitig eine der meistgehassten – ist übrigens die Helvetica. Das brachte eine Untersuchung von Anthony Cahalan, Professor aus Canberra, zutage. Des Weiteren konnte man erfahren, dass 80 Prozent der Befragten zwar ständig über rund 100 Schriften verfügen können, 25 Prozent dieser Nutzer jedoch noch nie eine Type gekauft haben, was wohl auf eine eher laxe Auslegung der Nutzungsrechte fremder Typen schließen lässt. Noch aussagekräftiger wäre die auch für das Schriftenmarketing interessante Statistik wohl ausgefallen, hätte Cahalan nicht ausschließlich Typedesigner befragt.

Unter technischen Mängeln in der Übertragungsqualität der italienisch-englischen Übersetzung hatten indessen die Teilnehmer des italienischen Designforums zu leiden. So hätten einige von den überwiegend jüngeren einheimischen Designern definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient – endgültig stieg der Dolmetscher dann bei dem Vortrag von Alessio Leonardi aus, der ein Rollenspiel vorführte, bei dem Buchstaben als Akteure in italienischen Opern oder griechischen Dramen auftraten. Außerdem präsentierte Leonardi die Arbeit von Leonardi. Wollein für Schering.

Den Abschlussvortrag am Sonntag hielt Rosemary Sassoon, die in Gestik und Tonfall einer etwas jüngeren Ausgabe von Miss Sophie aus "Dinner for One" glich und so etwas von ihrem ambitionierten Projekt ablenkte. Sassoon hat an der britischen University of Reading untersucht, wie Kinder schreiben lernen und wie sich diese Methoden verbessern lassen. Zudem forscht sie über die Entwicklung von Schriften für pädagogische Zwecke, die sich nicht bloß für ABC-Schützen – mit oder ohne Lese-Rechtschreib-Schwäche – als nützlich erweisen, sondern beispielsweise auch erwachsenen Analphabeten zugute kommen könnten.

Nicht nur die Vortragenden, auch ihre Vorträge sind zu einem nicht geringen Teil jedes Jahr wieder dieselben – eine für regelmäßige ATypI-Besucher recht ärgerliche Tatsache, die aber einen simplen Grund hat: Die Redner erhalten nicht nur kein Honorar, sondern müssen auch ihre Kosten selbst tragen. Da wundert es fast, dass es überhaupt so viele Präsentationen gibt.

Neben den Vorträgen fand sich genügend Zeit für die nicht minder wichtigen social events. Man traf alte Bekannte, lernte neue kennen, schlenderte durch die Ausstellungen, kaufte zu viele Bücher, stand beim Lunch in der Schlange und tauschte Neuigkeiten aus – same procedure as every year eben. Der Termin für die nächste ATypI steht bereits: vom 24. bis zum 28. September 2003 in Vancouver.

Weiterführende Informationen
www.gerefoundation.org

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