
#twittwoch im Netz. Ein europaweites Gipfeltreffen zur digitalen Souveränität mit Deutschland und Frankreich im Zentrum weckt Hoffnungen und Befürchtungen gleichermaßen: Wird nun eine europäische Allianz, angeführt von SAP, Siemens und Allianz sowie aus Frankreich Carrefour, das Internet und die digitalen Infrastrukturen übernehmen?
Das Thema digitale Souveränität ist spätestens seit der Corona-Pandemie zu einer Schicksalsfrage geworden – nicht nur im technologischen, sondern auch im politischen und gesellschaftlichen Sinne. Deutschland und Frankreich begreifen sich als Motor eines souveränen Europas. Das war schon bei der Montanunion der Fall. Doch im Jahr 25 des 21. Jahrhunderts will sich Europa aus der fast vollständigen Abhängigkeit von US-amerikanischen Anbietern und stellenweise auch chinesischen Technologien befreien. SAP, Siemens und Allianz sind die prominentesten deutschen Protagonisten dieser Bemühungen; Carrefour steht als französischer Vertreter für datengetriebene Einzelhandelsmodelle. Doch weit entfernt von einer tatsächlichen Machtübernahme im Netz stehen diese Unternehmen vor einem Balanceakt zwischen europäischer Eigenständigkeit und globaler Vernetzung.
Das jüngste Beispiel ist die gemeinsame Initiative nemens Industrial AI Cloud, getragen von SAP und Partnern wie Siemens, Deutsche Telekom und internationalen Akteuren. Ziel sind Aufbau und Betrieb einer europäischen KI-Cloud, die Unternehmen, Verwaltung und kritischen Infrastrukturen verlässliche, datenhoheitliche Anbieterstrukturen sichert. Nicht Abschottung, sondern Zusammenarbeit bestimmt dabei die Agenda. SAP-CEO Christian Klein betont, Souveränität könne es nur im engen Schulterschluss mit starken Partnern geben – und vor allem nicht als Abkehr vom globalen Markt. Vielmehr will die Kooperation offene, sichere und wettbewerbsfähige Technologien nach Europa holen und sie im Einklang mit europäischen Standards weiterentwickeln.
In der Realität bleiben Abhängigkeiten hoch. 96 Prozent der deutschen Unternehmen importieren nach wie vor digitale Technologien und Dienstleistungen – sei es Software, Hardware oder Cloud-Lösungen, vor allem aus den USA und Asien. Für Halbleiter, Quantencomputing oder 5G-Komponenten ist die Abhängigkeit besonders hoch; das Vertrauen in internationale Zulieferer ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Während immerhin mehr als die Hälfte der Unternehmen bei Robotik und Sensorik eher gelassen in die Zukunft blickt, erwarten 60 Prozent, dass die Importabhängigkeit in den nächsten Jahren weiter steigen wird.
Europäische Softwareriesen wie SAP kämpfen zudem an mehreren Fronten. Während sie Souveränität versprechen und ausbauen wollen, stehen sie wegen angeblicher Marktmacht und fehlender Interoperabilität unter kartellrechtlicher Beobachtung der EU. SAP etwa musste jüngst weitreichende Zugeständnisse machen, die den Wechsel zu alternativen Anbietern erleichtern sollen. Der Wunsch nach europäischer Führungsrolle gerät so schnell an regulatorische Grenzen, die eine endgültige Dominanz erschweren oder gar verhindern.
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SAP, Siemens, Allianz und Carrefour werden das Internet der Zukunft nicht beherrschen – und das ist angesichts der komplexen Realität in Europa auch gut so. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die neuen Partnerschaften und Initiativen tatsächlich genug Innovationskraft und Souveränität entfalten, um den transatlantischen Digitalkonzernen wirksam Paroli zu bieten. Europa muss dabei auf Kooperation statt Abschottung setzen, auf kluge Regulierung statt nationalen Protektionismus, und auf selbstbewusste Standards, die sowohl technologisch als auch gesellschaftlich überzeugen. Die Macht über Zukunft und Internet liegt im 21. Jahrhundert nicht mehr bei einzelnen Unternehmen, sondern bei der Fähigkeit, aus vielen gemeinsam Stärke und Vielfalt zu schöpfen.

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